Auch
wenn man ihn zu seinen populärsten Zeiten in den 70ern und 80ern,
als sich alles rechts von der Mitte an ihm rieb, persönlich nicht
begegnen konnte: Als Klaus Staeck den Saal im Städtischen Museum
Zwickau zur Verleihung des Max-Pechstein-Preises betritt, weiß man:
Er ist weiterhin ganz er selbst: schlank, agil, ironisch, ein Intellektueller,
der im Unterschied zu vielen dieser Branche Kenntnis von der Realität
hat. Staeck hält dann gleich mal eine „Predigt“, auch wenn er freimütig
zugibt, dass er nun in einem Lebensalter sei, „in dem man nicht
mehr auf die Barrikaden“ gehe. Er wende sich aber gegen ein System,
dass Manager belohne, wenn sie Verluste
produzieren, weil deren Pflichten nicht ausreichend kontrolliert
werden: „Da hört für mich der Spaß auf.
Staeck
ist 74 und der Nestor der Zunft; er entstammt einer anderen Zeit:
Berühmt wurde er in einer Phase, als bestimmte Kreise auch noch
einmal versuchten, im Westen einen demokratischen Wohlstandsobrigkeitsstaat
zu etablieren, als die permanente Angst „vor den Russen“ und die
Wegwerfgesellschaft als normal galten und kein Argument zu blöd
war, um alternative Energiekonzepte durch den Dreck zu ziehen. „Viel
erreicht hat man nicht… Im Grunde hat sich nur wenig geändert“,
spricht er in Zwickau zum wohlgesonnenen Vernissagenpublikum. Un
manchen Dingen hat er resigniert.
„Die
Demokratie zu verteidigen und ein Gefahrenbewusstsein für ihre Verletzbarkeit
zu schaffen, ist heute unsere wichtigste Aufgabe“, geht Staeck thematisch
weiter. Er weiß, wovon er redet, so richtig beschützt konnte er
sich in der Freiheit des deutschen Westens nicht immer fühlen: Man
hat ihn auf offene und subtile Weise unzählige Male versucht, aus
dem öffentlichen Verkehr zu ziehen. Seine Dankesrede wird dann ein
Rückblick, eine Bestandsaufnahme seiner originären Funktion im Lande:
„Das Problem meiner Plakate ist, dass sie nicht altern wollen.“
Wer die glänzend sortierte Personalausstellung in den Zwickauer
Kunstsammlungen mit Schlüsselwerken Staecks durchsieht, stimmt ihm
ohne Vorbehalt zu, ganz gleich, ob man nun Jünger oder Kritiker
seines Arbeitsstils ist. Und neben seinen Einsprüchen, der Distanz
und Ironie über den aufgeklärten, realistischen Kapitalismus der
Bundesrepublik zeichnete Staeck in seinen Plakaten ein Sittengemälde
des deutschen Landes, wie es in Texten und Untersuchungen oft nur
umständlich wie lückenhaft möglich wird.
Staeck
lästert in seiner Unterweisung vor dem interessierten Vernissagenpublikum
über die Mitgliedschaft im ADAC, der mit der „Urangst der
Deutschen“ spiele, bei einer Autopanne „im nächsten Straßengraben
zu verhungern oder zu verdursten“. Und die Formel 1, die
„ein böser 80-jähriger Greis organisiert“, sei überhaupt eine der
übelsten Umweltzerstörungen weltweit. Seine Wünsche halten sich
in Grenzen: Er wolle noch mal eine seiner Arbeiten auf einer Briefmarke
sehen, aber das werde wohl nichts: Systeme sind nachtragend, und
er hat dereinst das System in Frage gestellt. Aber das war immer
auch das Problem für seine Gegner: Klaus Staeck ist unbestechlich,
und mit dieser Eigenschaft macht man auch mächtige Feinde immer
unsicher. Sein Ringen für die Meinungsfreiheit führt ihn heute freilich
auch nicht mehr als Beklagten vor Gericht.
Klaus
Staeck, Jahrgang 1938 und aufgewachsen in Bitterfeld, ging nach
ersten politischen Problemen in der DDR 1956 in den Westen. Ein
besonders freundlicher Empfang wurde es wohl nicht, auch für sprachkundige
Flüchtlinge waren die Plätze immer begrenzt. Er studierte Recht,
erhielt 1968 seine Zulassung als Anwalt, seine Bestimmung fand er
dagegen als politischer Grafiker und in Personalunion als Verleger
von Multiples mit Künstlern ersten Ranges. Dort waren und sind signierte
Qualitätsarbeiten von Joseph Beuys, Christo, Carlfriedrich Claus,
Rebecca Horn, Jonathan Meese, Michael Morgner, den Brüdern Nicolai,
A. R. Penck, Sigmar Polke, Gerhard Richter oder Katharina Sieverding
zu moderaten Preisen erhältlich.
Er
selbst kann sich auch als Produzent nicht beklagen. Die Zahl seiner
Ausstellungen geht, so unglaublich es klingen mag, in die Tausende.
Seine Popularität führte und führt ihn permanent in die Medien,
sie eröffnete ihm auch ein kommerzielles Dasein in einer Nische,
die gemeinhin als nichtkommerziell gilt. Und es gab für ihn auch
diverse Satisfaktionsmöglichkeiten, die die Branche gewöhnlich knapp
hält: So erhielt er dreimal den Ruf zur documenta. Im April
2006 wurde Klaus Staeck überraschend zum Präsidenten der Akademie
der Künste Berlin gewählt, ein Amt, dass er von Beginn an souverän
ausfüllt, was seine üblichen Kritiker zunächst für unmöglich hielten.
Und es kam, wie es kommen musste: Klaus Staecks Wiederwahl als Akademiepräsident
in den Jahren 2009 und 2012 stand nie in Frage.
Wir
treffen uns am Tag nach der Pechstein-Preisverleihung im neuen Domizil
des Zwickauer Vereins Freunde aktueller Kunst, in dessen rechter
Haushälfte die Fotografin Li Erben einen Wohnsitz hält. Klaus Staeck
zieht wie ein Pilot seinen Rollkoffer hinterher, begleitet von seiner
sehr sympathischen Frau. Er wird hier noch eine Ausstellung von
Postkarten seiner Edition eröffnen, um dann sofort nach Berlin in
die Zentrale der Akademie zurückzukehren. Amtsgeschäfte halt, ein
geteiltes Leben zwischen seinem Wohnsitz Heidelberg und dem Büro
am Pariser Platz. Wir gehen hinaus in den Garten auf der Rückseite
des einstigen Kindergartens. Die Aufzeichnungen des Diktiergerätes
unterlegen nur die Singvögel im Garten, über den sich die Vormittagssonne
spannt, man wähnt sich in diesem Augenblick hinter einem kleinen
Palazzo in Ferrara.
Sie hatten über 3000 Einzelausstellungen,
das ist im Grunde kaum vorstellbar. Existiert darüber eine Liste?
Am
Anfang gab es eine Liste, aber irgendwann habe ich das Zählen aufgegeben.
Das hat jemand mal später recherchiert.
Im
freien Westen wurden über 100 Ihrer Ausstellungen verboten – aus
heutiger Sicht scheint das unvorstellbar.
Ja,
aus heutiger Sicht. Aber damals gab es ein anderes politisches Umfeld.
Die Leute reagierten viel heftiger auf Satire, wie ich sie nun mal
mache. Vielleicht waren meine Angriffe- nennen wir es ruhig so -
heftiger. Heute hat sich vieles in der Satire auch in Beliebigkeit
aufgelöst und weichgespült.
Ihre
Wahlwerbungsplakate für die SPD sind Legende. Aber was hat das letztlich
gebracht? Herbert Wehner soll gesagt haben, dass die Wahlunterstützung
durch Günther Grass 100.000 Stimmen bringe und 100.000 Stimmen dadurch
verloren gehen…
Na
ja: Wehner war ja jemand, den störte, dass es außerhalb der Partei
auch Aktivitäten gab – von Bürgern, die nicht direkt von ihm oder
von der Partei zu steuern waren. Das war das Risiko, aber ich glaube,
dass Wehner sich in der Wirkung geirrt hat.
Es
kamen also mehr Stimmen durch externe Aktivitäten rein als dadurch
verloren gingen?
Das
glaube ich sicher. Weil eben diese Wählerinitiativen auch Bürger
aktiviert haben, die normalerweise kein direktes Interesse an der
Politik hatten, wie sie von den Parteien zelebriert wird.
Als
Präsident der Akademie der Künste arbeiten sie in Berlin in Fußwegweite
vom Bundestag, vom Kanzleramt und zahlreicher Ministerien. Aber
ehrlich: Welchen Wert misst die Politik der Gegenwart den Künsten
bei?
Das
schwankt doch sehr von Person zu Person. Der amtierende Kulturstaatsminister
zeigt echtes Interesse, und er ermöglicht auch bestimmte Dinge.
Und das ist ja die Rolle der Politik.
Wird
man jemals ernsthaft um Rat gefragt?
Um
Rat gefragt selten. Wir haben ja als Akademie der Künste sogar den
Auftrag der Beratung der Politik. Den nehmen wir auch wahr, indem
wir uns an die Ministerien direkt wenden, so in Sachen Urheberrecht
oder auch durch öffentliche Erklärungen und Veranstaltungen.
Jedermann
weiß, dass mit der Kultur auch die Macht verbunden ist, schrieb
einst Leopold von Ranke. Es bleibt heute das Gefühl zurück, dass
die Politik diese Verbindung zurückgestellt hat.
Das
mag damals mehr gegolten haben als heute. Die Kultur hat sich selbst
so viele Felder erobert, dass man wirklich von einem Kulturstaat
sprechen kann und den wir – wenn es in Krisenzeiten ans Kürzen geht
– auch verteidigen.
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Beuys hat die Grünen in Deutschland salonfähig gemacht, er ist an
ihrem Aufstieg wesentlich beteiligt gewesen. Dann hat man ihn eiskalt
abserviert, als es um einen Sitz im Bundestag ging. Warum scheint
in der Politik – im Großen wie im Kleinen – alles möglich, um einen
„Posten“ zu bekommen?
Tja.
Dem liegt möglicherweise der Irrtum zugrunde, dass die Politik unser
Zusammenleben noch wesentlich regelt. Dabei sind in Wirklichkeit
große Entscheidungsfelder an die Wirtschaft, sprich die Märkte abgegeben
worden.
War
das der Grund, warum Sie in der SPD nie einen Posten angenommen
haben?
Ich
bin mehrfach gefragt worden, ob ich für den Bundestag kandidiere,
weil man sich davon auch etwas Prominentengewinn versprach. Aber
ich habe – anders als Beuys – nie geglaubt, dass das, was ich möchte,
direkt über eine Partei, egal welche, zu verwirklichen ist. Und
Beuys ist ja dann tatsächlich gescheitert und stand kurz vor seinem
Tod vor dem Austritt bei den Grünen. Ich fragte ihn damals, und
er sagte „so leicht mache ich es ihnen nicht“. Er war sehr enttäuscht.
Sein letztes Interview hat Beuys interessanterweise dem Vorwärts
gegeben, und da rechnet er ziemlich hart mit den Grünen ab, die
ihn tatsächlich für den Anfang benutzt haben und brauchten und dann,
als sie an grö- ßere Wählermassen heranwollten, war er für sie doch
eher ein Störer.
Die
Edition Staeck eine Erfolgsgeschichte. Ihre Lieferanten sind
wenigstens zur Hälfte Stars der Kunstbranche. Aber wie kommt man
an die Stars heran?
Einfach
durch schlichtes Ansprechen. Und ich hatte den großen Heimvorteil,
dass ich immer als Kollege zu ihnen kam und nicht als Galerist oder
Händler.
Die
Preise der Superstars wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke sind
auch bei Ihnen in den zurückliegenden Jahren explodiert. Ist das
unvermeidlich?
Idee
unseres Angebots war, anfangs ein wenig Risiko einzugehen. Zu Beginn
die Arbeiten sehr preiswert anbieten, dann nimmt alles seinen normalen
Lauf. Sonst kaufen die Leute die Arbeiten zum Schnäppchenpreis und
tragen sie ins nächste Auktionshaus. Darauf hat man ja keinen Einfluss
mehr.
Aber
es ist doch so: Es gibt in der modernen Kunst keinen zwingenden
Zusammenhang zwischen Preis und Qualität.
Das
hat es in dem Sinne nie wirklich gegeben. Es gab auch viel Salonkunst
in früheren Zeiten, bei der sich dann herausgestellt hat, dass es
tatsächlich nur Salonkunst war.
Kunst
ist letztlich auch Manipulation und Geschäft. Im Gegensatz zum Politiker
ist der Künstler aber freier. Stimmt das noch?
Weitgehend ja. Der Künstler muss natürlich bereit sein, notfalls
auch ein prekäres Dasein in Kauf zu nehmen.
Nichtsdestoweniger
hat der, welcher das wenigste Glück hatte, sich oft am längsten
behauptet, schrieb Macchiavelli im Il Principe. Da könnte etwas
dran sein…
Das
könnte sicher auch aus Sicht der Künstler zutreffen.
Die
mächtigen Politiker suchen gern auch die Nähe erfolgreicher Künstler,
weil sie hoffen, dass etwas vom Glamour der Kunst, ihrer Intellektualität
und dem Coolen auf sie auffärbt – das gehört zum Spiel. Aber welche
Beziehung hielt bei Ihnen über die Amtszeit des Politikers hinaus?
Manchmal
hat man das Glück, mit jemanden tatsächlich freundschaftlich – im
wahrsten Sinne des Wortes - verbunden zu sein, und dann hat das
immer über die Amtszeit hinaus gehalten.
Mit
wem?
Mit
Egon Bahr, Herta Däubler-Gmelin, Horst Ehmke und Henning Scherf
zum Beispiel.
1960
traten Sie in die SPD ein. Was gibt es eigentlich für 50 Jahre Mitgliedschaft?
Mit
meinem Ortsverein habe ich immer noch keinen gemeinsamen Termin
gefunden…, es sind jetzt schon 51 Jahre.
Vielleicht
eine kleine Ansprache?
Zur 25-jährigen Mitgliedschaft gab es eine kleine, versilberte Nadel.
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In
ihrer Zwickauer Rede kritisierten sie auch den Formel-1-Zirkusdirektor
Bernie Personen & Fakten 53 Ecclestone. „Es wird zu viel geredet
und zu wenig getan. Das ist leider der Nachteil an der Demokratie“,
sagte der gleiche Bernie Ecclestone unlängst. Da kann man schwerlich
widersprechen?
Ich
kann Herrn Ecclestone absolut nicht mit Demokratie in Verbindung
bringen. Das mit dem reden mag sein, aber Herrn Ecclestone möchte
ich am Allerwenigsten als Demokratieberater haben.
Auch
in diesem Punkt lag Staeck wieder richtig: Bernie Ecclestone ist
inzwischen der schweren Korruption verdächtig.
Die
Funktion eines Künstlers ist, nicht zur Gesellschaft zu gehören,
zu stören, sagte Galerist Michael Werner. Stimmt?
Nein, davon halte ich gar nichts.
Helmut
Kohl hat Sie beschimpft, später stellte er sich mit dem Begriff
des „Ehrenwortes“ über das Gesetz. Wie geht das: Der ehemalige Bundeskanzler
teilt seinem Volk mit, dass das Gesetz für ihn nicht gilt.
In
einer funktionierenden Demokratie kann sich niemand außerhalb des
Gesetzes stellen, auch Kohl nicht.
Die
Berufspolitiker ignorieren die Klasse der Angstträger und sind unfähig,
zumindest ein moralisches Zeichen zu setzen gegen jene Gier vermeintlicher
Hochleistungsträger, die sämtliche noch vorhandenen Reste von Wertvorstellungen
sprengt, so äußert sich Theaterregiemogul Frank Castorf.
An
der pauschalen Politikerschelte habe ich mich nie beteiligt. Sie
sind die gewählten Vertreter und wenn einer meint, dass er es besser
machen kann und könnte mehr für die Demokratie tun, dann gibt es
die wunderbare Möglichkeit, sich selbst zur Wahl zu stellen. Das
machen aber die Wenigsten. Nur alle unangenehmen Dinge bei der Politik
abzuladen, war mir immer zu billig.
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