|
Reconnaissance
Interview Mag
|
|
|
Ein
Prinz lehrt Manieren |
|
Asfa-Wossen
Asserate zum Manager-Mittag
|
|
|
Er war die Autorenüberraschung
im Buchmarkt des Jahres 2003: Asfa-Wossen Asserate, Prinz aus dem
äthiopischen Kaiserhaus, veröffentlichte in jenem Jahr sein Buch
Manieren, das sich zum ungewöhnlichen Bestseller entwickelte.
Wer hätte es für möglich gehalten, dass man mit einer gehobenen
Einlassung zur titelgebenden Thematik im Buchvertrieb von heute,
der im wesentlichen von unendlicher Plattheit geprägt ist, einen
Erfolg plazieren kann? Das Werk, in der Tradition von Knigge stehend,
spiegelt neben einem soziologischen Sittengemälde unserer Gesellschaft
auch die individuelle Sicht des Autors wider - formuliert von großer
Stilhand.
Asfa-Wossen
Asserate, 1948 in Addis-Abeba geboren, besuchte die Deutsche Schule
in Addis Abeba, studierte in Deutschland und England. Aus politischen
Gründen konnte er von 1974 an bis zum Sturz des Regimes von Mengistu
Haile Mariam erst nach 1991 wieder seine Heimat aufsuchen. Er arbeitete
fortan in Deutschland in verschiedenen Professionen, bis der promovierte
Historiker mit seinen glänzend ausgewählten und stilistisch exzellent
formulierten Werk Manieren neue Seiten aufschlug. Prinz Asserates
Exkurs in Chemnitz kam einer Sternstunde der Rede- und Vortragskunst
gleich: komprimiert wie ein kunstvoll-tiefsinniges Zitat, leicht
wie eine Nachmittagsunterhaltung mit Weißwein unter toskanischer
Sonne, gehaltvoll wie die jedermann verständlichen Lehren der philosophischen
Klassiker Griechenlands.
"Es ist ein
Erbe der 68er, dass man seinerzeit begann, Benimmregeln als reaktionär
zu verdammen", so Prinz Asserate bei seinem Auftritt im Flemming.
Und seine Einleitung legte die Maßstäbe hoch, für ihn kein Problem.
Aber: Mit Direktiven zu einer Veränderung - einer Art Benimmrenaissance
- hält er sich vornehm zurück. Es gebe keine Ratschläge für Menschen,
die sich über alles aufregen, aber die eigene Arbeit wie ihre Manieren
minderwertig pflegen: Für Prinz Asserate stehen die Hintergründe
von Manieren fest, ganz gleich, ob es geschriebene oder ungeschriebene
Gesetze sind. Vieles sei ohnehin eine Frage der Erziehung, nicht
nur der Eltern, sondern ebenso durch die Lehrer in Kindergarten,
Schule, Ausbildung, Studium - das klassische Prinzip eben, das zu
Fall kommt, wenn Lehrer diese Maßstäbe nicht legen können. In diesem
Zusammenhang lobt er die Vergabe von Kopfnoten in Sachsen, das schade
wohl eher gerade nicht. Den langweiligen Kritikern, dass die Jugend
von heute so schlimm wie noch nie sei, konterte er gleich einleitend
mit Sokrates: "Die Jugend liebt heutzutage den Luxus, sie hat schlechte
Manieren, verachtet die Autorität", so befand der Starphilosoph
vor gut 2400 Jahren. "Aber wieviele Beurteiler verfügen heute über
geeignete Maßstäbe?" fragt Asserate sodann vorwurfsfrei im Nachsatz.
Der Prinz geißelt
die Bildungsexperimente der 68er "an lebenden Schülern" und weiß
nicht zuletzt durch seine exzellenten historischen Kenntnisse, dass
man "mit Relativismus keine Freiheit schafft". Schlechte Manieren
seien im Übrigen auch psychologisch zu erklären: "Wer sich nicht
benehmen kann, der ist meist selbst etwas verwirrt und mit sich
im Unreinen." Über vieles könne man auch nicht streiten. Prinz Asserate:
"Es gibt nur einen einzigen guten Geschmack: Er ist eine Aktion
und muss verstanden sein." Dieses Verstehen geht der westlichen
Medien-Gesellschaft ab. So sind für ihn die alltäglichen Klagen
"der Bürger", dass man von den Politikern so schändlich belogen
werde, nicht nachvollziehbar.
Viele Verhältnisse
seien entrückt, zumal das heutige Be- und Entlohnungssystem Geld
und materielle Dinge verteile, nach denen die Menschen einerseits
gieren, deren wirkliche Einordnung ihnen andererseits durch Verkennung
der Maßstäbe verwehrt bleibe. Der klare Schluss: "Der Mensch ist
für ökonomische Gaben nicht lange dankbar."
|
|
|
 |
|
Ein
Prinz lehrt Manieren: Asfa-Wossen Asserate, Chemnitz 2009. Foto:
Kreißig |
|
|
|
Überhaupt steht
der Äthiopier der Geld- und Dauerspaßgesellschaft - wie jeder denkende
Zeitgenosse - skeptisch gegenüber: "Alle Menschen von Geist entfernen
sich nach Möglichkeit von den Städten des westlichen Wohlstands
- so weit wie erdenklich", meint Asserate, wobei ihm ebenso klar
ist, dass man nicht wie Diogenes in der Tonne leben kann, "der Ausstieg"
folglich oft ein temporärer Ausflug bleiben muss. Die extremisierte
Wohlstandsgesellschaft "mit dem beheizbaren Swimmingpool für jede
Familie, in manchen Regionen der Welt übrigens nahezu erreicht"
trage letztlich keine Idee in sich, und sie werde zur Karikatur,
erst recht, wenn dann alle diesen Pool haben.
Mit dem übergreifenden
kulturellen Missverständnis, die bei Ungebildeten dazu führen, dass
man "gesellschaftliches Ansehen" mit dem Besitz von Macht und Geld
gleichsetzt, will er nichts zu tun haben. Elitär ist der Prinz noch
lange nicht, eher ausbalanciert, wenn er sich dem mehr oder weniger
geplanten Besäufnis zuwendet. "Manieren und Alkohol gehören durchaus
zusammen", meint Asserate. In Deutschland ist diese Verbindung leider
schwer möglich. Gefährlich und unmöglich sei es, wenn man in einer
nüchternen Gesellschaft als Angetrunkener auftauche. Daher sein
sicherer Rat: "Zum vergnügten Trinken gesellt man sich zu Leuten,
die das Gleiche vorhaben." Er verstehe sich eher auf die englische
Besäufnis-Variante von Mittelschicht und Adel, bei der dumme Sprüche,
Versprechungen, Übertreibungen, schlichtweg alles, was passiert
ist, am nächsten Morgen vergessen und kassiert sind, und jedwedes
Reden darüber ein unverzeihlicher Stilbruch ohnegleichen sei.
Das Textkonzept
von Asserates Büchern wie seine ideelle Lebenseinstellung sind klar
strukturiert und gleichermaßen verständlich: das Nutzen regulativer
Ideen und die individuelle Parkettsicherheit durch das konsequente
Praktizieren gewöhnlich erscheinender Manieren, die durchaus auch
mal einen altmodischen Touch aufweisen können. Prinz Asserate: "Es
geht ja vor allem darum, dem anderen Menschen seine Würde nicht
zu stehlen."
"Bei Manieren
handelt es sich auch um eine ästhetische Moral", meint Asserate
wahrhaftig; ohnehin entwickelt man bei ihm nie das Gefühl, dass
seine festen Sätze mit irgendeiner subtilen Form ernstzunehmender
Ironie unterlegt sind. Über seine Grundsätze, die er nicht als originären
Ansatz versteht, sondern mehr als klassisches Kompendium, macht
er sich angesichts der laufenden Übergriffe in der Welt der Moderne,
deren Hauptkomponenten Machtausübung, Geld, Celebritykult und Gewalt
zu sein scheinen, wenig Illusionen - ihrer Überlegenheit ist er
sich dennoch bewusst: "Es ist nicht leicht, ein manierliches
Leben zu führen, zumal man dann oft in der schwächeren Position
ist. Aber sie können besser schlafen."
Uwe Kreißig
|
|
|
|
|
|
|
|
Kontakt
/ Impressum / Datenschutzerklärung |
|
|
©
2010 Interview Mag Uwe Kreißig |
|