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Reconnaissance
Interview Mag
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Der Sieg des Ancien Régime und der Dialektik |
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Chris Dercon
tritt mit sofortiger Wirkung als Intendant der Volksbühne Berlin
zurück - das Stück Liberté von Albert Serra bildet den passenden
Rahmen dafür
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Dass das Feuilleton
den Volksbühnen-Chef Chris Dercon schon vor seinem ersten Arbeitstag
zum Abschuss freigegeben hatte, ist eine Tatsache. Da machten plötzlich
auch jene mit, die den Vorgänger Frank Castorf nie leiden konnten
und als ostdeutsches Linksrumpelstilzchen verleumdeten. Gegenseitig
versicherte man sich, dass der neue Intendant, der auch als Museumschef
und Kurator gelegentlich der Hochstapelei verdächtigt wurde, komplett
unfähig sei. Am vergangenen Freitag haben die Kritiker ihr Werk
vollendet: Chris Dercon vermeldete seinen sofortigen Rücktritt als
Chef des Hauses am Rosa-Luxemburg-Platz. Er soll schon aus Berlin
verschwunden sein. Vielleicht musste er auch fliehen, um nicht noch
die Zahlungsunfähigkeit verkünden zu müssen: Die
Einnahmen der Volksbühne sollen in Folge der massiv gesunkenen
Besucherzahlen und ausgebliebener Sponsorengelder eingebrochen sein.
Ganz unschuldig
ist der Belgier, der auch als Star in der internationalen Kunstszene
nie unumstritten war, an dieser Situation nicht. Durch sein überhebliches
Auftreten vor der Amtsübernahme, als er einen Superspielplan ankündigte
und dies ohne die geringste professionelle Kenntnis vom Theater,
waren selbst anfängliche Befürworter seiner Personalie ins Zweifeln
gekommen. Und dann gab es wohl noch den unglückseligen Anlass, als
der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) - dem angeblich
leibhaftigen Rammstein-Entdecker - Dercon und Castorf auf
einer Abendgesellschaft einander vorstellte, wobei Renner und Dercon
schon wussten, dass Castorf, der zu diesem Zeitpunkt noch auf eine
Vertragsverlängerung spekulierte, seinem Nachfolger die Hand reichte.
Diese sinnlose Kabale hat Castorf beiden nicht vergessen, und über
seine Anhängerschaft den unbefristeten Hass über Dercon ergießen
lassen. Renner ist längst Zeitgeschichte. Von seiner schwachen Berliner
SPD entsorgt, schaffte er es nicht einmal in den aktuellen Bundestag.
Aber Dercon war noch abzuräumen. Das ist nun geglückt, und viel
schneller als alle dachten.
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Ex-Volksbühnen-Chef
Frank Castorf nahm es billigend hin, dass seine Entourage und das
Feuilleton den Krieg gegen Chris Dercon bis ins Uferlose führte. Dafür
hatte er einen guten Grund: Rache. |
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Doch
inzwischen werden die Akteure am Haus durch die entstandene Situation
in Mitleidenschaft gezogen, weil der Opportunismus der Belegschaft
im deutschen Feuilleton immer schon stärker war als eigenes Denken.
Denn wer bei Dercon auftritt, muss ein Verräter sein. So verriss
man die aktuelle Inszenierung "Liberté" des Katalanen Albert Serra,
der dafür einstige Weltstars wie Helmut Berger und Ingrid Caven gewonnen
hatte. Wenn man sich ein bisschen mit der Sache befasst, sind Stück
und Inszenierung eine ordentliche Arbeit. Und wo waren denn die Proteste
auf den Kulturseiten, als man am Deutschen Theater "Warten auf Godot"
und "König Ubu" in Kreisklassenniveau auf die Bühne brachte? Diese
beiden, an Einfalt und Dummheit kaum zu überbietenden Inszenierungen
stehen, in Luftlinie zwei Kilometer von der Volksbühne entfernt, weiter
im Spielplan.
Theater lebt davon, dass es immer was Neues gibt, eine andere Handschrift,
eine andere Partitur, neue Leute und alte Leute, die plötzlich wieder
neu sind. So einen Fall haben wir hier. Man könnte Serra vorwerfen,
dass sein Stück unhistorisch und - genau genommen -, in vielen Teilen
historischer Blödsinn ist, aber er stellt eben eine fiktive Situation
dar. Ein paar vom Hof verstoßene Adelige wollen die Freiheit in jeglicher
Form nach Deutschland, genau genommen, nach Preußen bringen. Ihre
Anführerin ist die Duchesse de Valselay, gespielt von Ingrid Caven
("Liebe ist kälter als der Tod"), der ideologische Kopf der Ausgestoßene
Duc de Walchen, den Helmut Berger ("Der Garten der Finzi Contini")
in wunderschöner Sprache gibt. Dazu treffen sie sich in einer
idyllischen Lichtung im Grenzgebiet mit Geschäftemachern, Dienern,
Lakaien und Betrügern. Alles wird in den Sänften ausgemauschelt, die
Dienerschaft hat keine Ahnung, um was es geht und einbezogen wird
sie erst recht nicht. Am Ende stirbt der syphilliskranke Duc de Walchen,
der Plan ist Geschichte. Deutschland bleibt von der neuen Freiheit
verschont. |
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Die
einzige schnelle Lösung für Berlin wäre Michael Thalheimer (hier 2009
in Paris), der gegenwärtig Hausregisseur am Berliner Ensemble ist
und damit doch unterbewertet scheint. Thalheimer weist nicht nur die
nötige Erfahrung als Weltklasseregisseur auf, sondern hätte in der
Branche auch das nötige "Standing", um nicht gleich wieder im Feuilleton
abgeschossen zu werden. Und er kennt die Berliner Theaterszene.
Fotos (4): Kreißig |
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Die besondere
Ironie des Stücks hat im Feuilleton bislang niemand bemerkt, zielt
doch Serra eher auf die Gegenwart. In Berlin regiert eine moderne
Vertreterin eines Ancien Régime, die es in einem langen Prozess
geschafft hat, den Bundestag in seinen Funktionen zu entmachten.
Abstimmungen sind Formsache, weil wie in der DDR-Volkskammer ja
"längst alles in den Ausschüssen" diskutiert wurde und der große
Rest "alternativlos" ist. Da muss dann als Abgeordneter immer die
Hand heben oder eben nicht, auch wenn man vielleicht spürt, dass
an der einen oder anderen Sache etwas stinkt. Vom Sonnenkönig, der
den Adel nach Versailles holte und ihn nach den traumatischen Erfahrungen
in der Fronde mit Spielen und sinnlosen Jobs entmachtete, hat die
Berliner Sonnenkönigin einiges gelernt. Du kriegst einen Ministerposten
oder wirst Staatssekretär und hältst ab dann die Klappe. Der entscheidende
Unterschied ist jener, dass Ludwig XIV. für die wirklich wichtigen
Projekte Profis wie Vauban, Colbert oder Molière verpflichtete.
Diese konnten ihm bei passender Gelegenheit am Hofe auch etwas ins
Ohr flüstern, und so geschah es denn. Auf den (Polit)-Adel setzte
der Sonnenkönig keinen Sou.
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Jürgen
Flimm verließ die Deutsche Staatsoper mit 76. Und trotz einer Interimsspielstätte
im Schiller-Theater in hervorragender Verfassung und einem Weltklasse-Spielplan. |
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Dagegen erhält
man von einem neu gewählten Bundestagsabgeordneten über Facebook
massenweise Posts, wie er bei der Abschaffung der Sommerzeit - also
das Allerwichtigste überhaupt - vorangekommen ist. Von Freiheit
dagegen, die einst eine linke Losung war ("Brüder zur Sonne zur
Freiheit"), ist hierzulande nur noch selten die Rede. Heute gilt
Freiheit als reaktionär und steht zudem in Verdacht, von "den Rechten
missbraucht" zu werden. Dafür hat man in den etablierten Parteien
"die Dialektik" von den Linken übernommen, um reale Widersprüche
jeder Art zu versöhnen. So zeigen aktuelle Statistiken aus nahezu
allen Bundesländern, dass die Kriminalität 2017 im Großen und Ganzen
gesunken sei, ausgenommen freilich Tötungsdelikte, Vergewaltigungen
und Raub, wobei man für diese Punkte "logische" Erklärungen verkündet.
Dass man für eine sinkende Kriminalität massenhaft neue Polizisten
braucht, wie praktisch jeder Innenminister hierzulande verkündet,
und deutschlandweit die Gefängnisse überfüllt sind, ist nur über
die gute alte Dialektik der marxistischen Philosophie zu erklären.
Wer hätte das gedacht, dass diese Argumentationskrücke eine solche
Renaissance erlebt.
Nur aus dem Hofstaat Ausgestoßene wie Sigmar Gabriel dürfen ein
paar Brocken der Wahrheit verkünden. Sie tun das freilich nicht
aus Einsicht, sondern aus Rache am Hof: "Unsere Kinder gehen zumeist
nicht in Kitas und Schulen mit mehr als 80 Prozent Migrantenanteil,
wir gehen nicht nachts über unbewachte Plätze oder sind auf überfüllte
öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, leben nicht in der Rigaer
Straße in Berlin und wenn wir zum Arzt gehen, bekommen wir schnell
Termine und Chefarztbehandlung selbst dann, wenn wir Kassenpatienten
sind. Und vor allen Dingen: Wir ahnen nicht, wie man sich fühlt,
wenn man jeden Tag arbeiten geht und trotzdem nicht vorankommt.
Oder wie es ist, nach 45 Jahren Arbeit mit weniger als 1000 Euro
im Monat klarkommen zu müssen", schrieb der geschasste Sigmar Gabriel
am 9. April 2018 auf tagesspiegel.de. Noch vor wenigen Monaten
wären solche Zusammenfassungen reinstes AfD-Sprech gewesen.
Wenn über das permanente Sänften-Tragen in "Liberté" auf den Kultur-Seiten
gelästert wird, so darf man erwidern, genau hier in der Volksbühne
schon eine Vielzahl blödsinnigerer Regie-Aktionseinfälle gesehen
zu haben, auch vom großen Meister Castorf selbst. Und die Kritiker
verstehen in ihrem Hass auf Dercon (den sie indirekt auch noch für
die "Sänfterei" verantwortlich machen) nicht, dass es sich hier
um ein Bild handelt. Denn wie im Ancien Régime, damals eben mit
Sänfte oder Kutsche, lassen sich unsere führenden Politiker
in großen Limousinen, Hubschraubern und Flugzeugen durch Stadt,
Land und Luft kutschieren, immer neben oder weit über der Realität
und vor allem im gebührenden Abstand zum normalen Volke. Als Träger
und Fahrer ist der Proll freilich noch gut genug.
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Schauspiel-Dino
Claus Peymann musste man mit 80 aus dem BE heraustragen. Dass
er es nicht mehr draufhatte, ließ sich an Eigeninszenierungen wie
"Kabale und Liebe" leidvoll ersehen. Er hätte gern noch zehn
Jahre rangehangen. |
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Für die Wiederbelebung
der halbtoten Volksbühne - zur jüngsten Sonnabend-Vorstellung von
"Liberté" war der große Saal zu einem Drittel gefüllt - hat der
Senat keine großen Optionen. Dercon war ein Experiment, die in der
westlichen Politik in den vergangenen zehn Jahren in Mode gekommen
sind. Mit Experimenten wie Kulturprojekte, Kriege wie im Irak, in
Libyen oder Syrien oder gleich die Gründung der "Weltgesellschaft"
versprechen sich die Politiker den großen Sprung nach vorn - für
ihre eigene Karriere. Ein weiteres Experiment kann sich der Regierende
Bürgermeister Müller, der seinerzeit auch die Dercon-Personalie
abgesegnet hatte, freilich nicht mehr leisten.
Die einzige schnelle Lösung für Berlin wäre Michael Thalheimer,
der gegenwärtig Hausregisseur am Berliner Ensemble ist und damit
etwas unterbewertet scheint. Thalheimer weist nicht nur die nötige
Erfahrung als Weltklasseregisseur auf, sondern hätte in der Branche
auch das nötige "Standing", um nicht gleich bei der ersten Panne
vom Feuilleton abgeschossen zu werden. Und er kennt Berlins große
Theaterszene. Frank Castorf an sein altes Haus zurückzurufen, wäre
gleichwohl bescheuert, auch wenn er auf Theaterdinos wie Claus Peymann,
der das Berliner Ensemble mit 80 verließ, oder Jürgen Flimm, der
Ende März als Intendant der Deutschen Staatsoper mit 76 abtrat,
verweisen könnte. Denn Castorf ist ja erst jugendliche 66, wie schon
Udo Jürgens wusste. Gleichwohl wäre Castorf kein Modell für die
Zukunft, was in der Hauptstadt wiederum für ihn sprechen würde.
Leider hat Thalheimer wohl keine realistische Chance, hat er sich
doch frühzeitig aus Sicht des Rot-Rot-Grünen Senats falsch geäußert:
"Wenn neue Intendanten ihr Programm vorstellen, habe ich häufig
den Eindruck, dass Amnesty International, die Obdachlosenhilfe und
das Flüchtlingshilfswerk einen gemeinsamen Zukunftsort kreiert haben.
Was aber komplett vergessen wird: es handelt sich um ein Theater.
Diese Kollegen biedern sich einerseits dem Zeitgeist an und ignorieren
andererseits die Aufgaben des Theaters. Dahinter verbirgt sich eine
große Lüge. Es wird niemandem geholfen, es wird nur so getan. Und
Theater verliebt sich dann in diese sozialen Projekte, die nichts
anderes sind als eitle Pose. Deshalb habe ich immer ein doppelt
übles Gefühl, wenn ich davon höre oder lese. Damit schafft sich
das Theater ab", sagte er im November 2015 dem Wiesbadener Kurier.
Die Berufung und der Sturz von Dercon, mit denen Millionen öffentlicher
Gelder für ein Show-Experiment verplempert wurden, zeigt aber ebenso,
wie heutzutage mit Steuermitteln umgegangen wird.
Eines ist dennoch klar: Die gefährliche Freiheit wird auch in "Liberté"
nicht nach Berlin gebracht. Das Ancien Régime hat jedenfalls wieder
einmal gesiegt. In Serras Stück wie im wahren Leben. Bis zur nächsten
Revolution.
Uwe Kreißig
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13.4.18, aktualiert am 16.4.18 Reconnaissance Interview Mag |
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