Zunächst war
es eine frühe Biographie, wie sie erst die Zeitgeschichte jener
Jahre ergeben konnte. Klaus Werner, am 22. September 1940 in Holzhau
im Erzgebirge geboren, kommt aus einfachen Verhältnissen und verliert
1941 durch den Krieg seinen Vater, eines Mechanikers bei der Eisenbahn.
Er wächst dann in Karl-Marx-Stadt auf, 1958 legt er an der
Oberschule Karl Marx sein Abitur ab. Im Anschluss studiert
er Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin und
empfiehlt sich sofort: nicht durch Parteigängertum, wie man
vermuten sollte, sondern durch eine außergewöhnliche,
frische Intelligenz. Zu dieser Zeit ist man auch in der DDR noch
bereit, echte Fachleute zu berufen, wenn auch in begrenztem Umfang.
Nach dem Diplom wird er mit 23 Referent im Kulturministerium der
DDR, der jüngste im Hause. Und so wie die Partei bestimmte, wer
in sie eintreten musste, bestimmte sie auch Klaus Werners schnellen
Ausschluss. Überhaupt sollen ihn bis 1989 Gängeleien, geheime Beobachtungen,
Entlassungen und Probleme mit den Behörden bis hin zum Berufsverbot
immerfort begleiten.
Man weiß als
später Beobachter nie, wieviel ihm das ausmachte, seine fachliche
Unabhängigkeit leidet darunter eben nicht, soviel erscheint sicher.
Goethes Sentenz aus dem Wilhelm Meister könnte dabei das
Elixier seines Lebens gewesen sein: Was aber bleibt, sind Bilder
und Geschichten. Klaus Werner verlegt sich vorrangig auf die
Intentionen der Kunst, wobei ihm klar gewesen sein muss, dass gerade
in ihr die Geschichten des Daseins auf ewig chiffriert gespeichert
sind, wenn der Künstler über den erforderlichen Rang verfügt.
Nach einem Zwischenspiel
im DDR-Kulturministerium im Jahr 1968, wohlgemerkt über eine Berufung
des gebildeten Salonkommunisten Klaus Gysi, drängen ihn die Macher
bald wieder aus der Stelle: Mit Querulanten, die nicht die Politik
und Weltanschauung zum ersten Gradmesser der Kunst machten, will
man sicherheitshalber nichts zu tun haben. Zur Legende wird Klaus
Werner mit der Galerie Arkade, die er 1973 in Berlin begründet
und die durch seine Ideen zu einem der bedeutendsten öffentlichen
Orte der Präsentation experimenteller wie unangepasster Kunst in
der DDR erwächst. In Künstlerkreisen gilt es bis heute als
eine Ehre, in der Galerie am Strausberger Platz - in dessen Umfeld
jetzt einer der Brennpunkte der westeuropäischen Nachtvergnügungen
liegt - präsentiert worden zu sein.
In dieser Zeit
beginnt auch seine Hinwendung zur Chemnitzer Kunstszene, die seit
Ende der 70er Jahre in Ostdeutschland herausragte. Dort in der Provinz
lassen sich in einem gewissen Umfang Unabhängigkeitsformen
pflegen, die sich in kurzer Zeit in der Entwicklung einer Szene
niederschlagen. Werner protegiert dort zunächst die Vertreter der
Künstlergruppe Clara Mosch und das gehobene Umfeld der Galerie
Oben, in den 80ern Klaus Hähner-Springmühl und Wolfram Adalbert
Scheffler, schon bald darauf die Brüder Olaf und Carsten Nicolai.
Zur Zeit der
Arkade erarbeitet sich Klaus Werner den Ruf zum international
renommierten Verteidiger der ostdeutschen "Nonkonformisten" und
"Underdogs", der in der DDR als einzigen intellektuellen Gegenspieler
wohl nur Lothar Lang hat, der freilich komplett auf der anderen
Seite stand, wie sich später in Stasi-Akten erwiesen haben
soll. Werners Favoritenwahl bleibt die Strengste: jene der Qualität
und der Zukunft. 1981 wird ihm darauf nach zu vielen "Übertretungen"
die Leitung der Galerie Arkade entzogen, was zugleich deren
geplantes Ende wird. Klaus Werner ist wieder einmal zu weit gegangen,
genau das, was er immer von "seinen Künstlern" erwartete. Dabei
ist er beileibe kein Außenseiter: hochgebildet, weltgewandt, auch
gut aussehend - Klaus Werner hätte viele Rollen ausfüllen können.
1984 zog er
- eher aus privaten Gründen - nach Leipzig und heiratete seine zweite
Frau Jutta, die dort als Ärztin praktizierte. Die Stadt ist für
ihn weder der Rückzug ins Private noch in die Provinz, die Leipzig
trotz seiner Ost-West-Messe ist, deren Bedeutung für den Welthandel
sich über die Jahre immer mehr verliert. Hier entstehen eine
Vielzahl von Katalogtexten und Eröffnungsreden, deren Empfänger
sich für diese Zuwendung glücklich schätzten, war dies doch zugleich
der Ritterschlag vor dem fachkundigen Publikum. Diese Texte voller
Poetik, Begabung, Verständnis und Wissen sind mitunter erst zu verstehen,
wenn man Jahre in der Welt der Kunst unterwegs war. Später
musste er schließlich Anfragen für Reden und Texte abschlagen,
weil er sie zeitlich nicht mehr bewältigen konnte und manches
Angebot ihm wohl auch nicht geheuer war. Auch wenn er als selbstständiger
Kunstwissenschaftler seinen Lebensunterhalt verdienen musste, machte
er keine Kompromisse mehr.
In den 80ern
brachte er dann kunstinteressierte Westdeutsche in die DDR und zeigte
ihnen andere Dinge des Lebens: all das in einem schon vergehenden
Land, dessen Optik und äußerliche Rituale für Multimillionäre auf
den ersten Blick wie heute ein Besuch in Nordkorea gewirkt haben
dürfte. Und doch konnten sie hinter den grauen Fassaden eine Welt
erleben, die dem Westen verloren gegangen und die nicht unbedingt
auf Geld gegründet war. Man kennt diese Schwarz-Weiß-Fotos, wie
ein Arend Oetker und seine Begleiter vom Kulturkreis der deutschen
Wirtschaft 1989 ostdeutsche Kunst in der Leipziger Projektgalerie
EIGEN + ART sahen und für Spielgeld etwas kauften, was
ihnen wahrscheinlich zunächst fremd war.
Mit der fachlichen
Beratung des EIGEN + ART-Gründers Gerd Harry Lybke ist es
auch Werners Verdienst, dass "Judy" aus dieser Hinterhofgalerie
ein millionenschweres Weltunternehmen formen konnte. Nur ein kurzes
Zwischenspiel war sein dritter Ruf in das DDR-Kulturministerium
für ein paar Monate im Jahr 1990, 26 Jahre nach seinem ersten Rauswurf
und eine Gesellschaftsordnung zurück. Klaus Werner hätte im gesamtdeutschen
Ministerium bleiben können, ging aber wieder nach Leipzig, um seine
eigenen Ideen in die Realität zu führen. "Das machte ihm mehr Spaß
als der Erfüllungsgehilfe zu sein", erinnert sich Jutta Werner heute.
Aus der Grauzone
der Ost-West-Begegnungen hatte sich noch vor der Wende der Impuls
für eine deutsch-deutsche Galerie ergeben, die nach langer Vorbereitungszeit
durch Klaus Werner 1998 als Galerie für Zeitgenössische Kunst
in Leipzig eröffnet und deren erste Direktorenschaft er übernahm.
Er leistete dort sein Vermächtnis als Ausstellungsmacher mit zwei
Einzelausstellungen im Jahr 2000. Die erste widmete er dem späteren
Superstar Neo Rauch, den Werner lange vor dessen Kommerzphase beworben
hatte, die zweite dem Chemnitzer Michael Morgner, der mit FIGUR
+ METAPHER diesen Corso abschloss. Man darf vermuten, dass jenes
Ende personell kein Zufall war. Morgner kam noch aus der alten Zeit,
geprägt von DDR-Einflüssen und doch immer versucht, davon
unabhängig zu bleiben, Rauch war die Neuzeit, der nun Leipzig
in der Kunstszene weltbekannt machen sollte.
Parallel hatte
man Klaus Werner, der an sich wieder freiberuflich arbeiten wollte,
überredet, das Amt des Rektors der Leipziger Hochschule für Grafik
und Buchkunst anzunehmen. 1999 noch zum Außerordentlichen Professor
berufen, überformte er dann von 2000 bis 2003 die "HGB" zur führenden
Einrichtung ihrer Art in Westeuropa. Der Welterfolg der sogenannten
"Neuen Leipziger Schule" zum erfolgreichen wie vielleicht umstrittensten
Kunstkommerzstil der Gegenwart lässt sich nur im Kontext mit seinen
Bemühungen, die er von Leipzig aus zentrierte, angemessen nachvollziehen.
In diesem Stil sah er möglicherweise eine Zukunft, fast ein neues
Ausdrucksmittel für die Kunstgegenwart. Doch als die NLS
begann, ihren Weltruhm in jeglicher Hinsicht einzufahren, waren
auch viele von Klaus Werners alten Helden schon Lichtjahre entfernt
von ihrer einstigen Kraft und Herrlichkeit.
Er selbst hatte
von einer solchen globalen Reichweite vielleicht einmal geträumt,
und es war nun erreicht, aber es blieb ihm zur Reflexion nur noch
eine ganz kurze Zeit. Und dennoch: Klaus Werners nahezu universale
Fähigkeiten als Ausstellungsmacher, Kunstwissenschaftler, Autor,
Redner, Entdecker, Berater, Leiter und Lehrer wie seine als weitblickend
ausgelegte unabhängige Haltung in den komplizierten, weil menschlichen
Dingen der Kunst heben ihn in die erste Reihe der europäischen Kunstsachverständigen.
Krankheit
ist ein Ort, an dem man bar jeder Gesellschaft ist, schrieb
einst in eigener Erfahrung Flannery O'Connor. War Klaus Werner das
- bei all seinen Verehrern, Schülern, Fans, die jung wie alt waren?
"Er war immer auch ein Anreger, der versuchte, uns ein bisschen
nach vorne zu treiben, auch durch das Zusammenbringen von Künstlern",
erinnerte sich vor wenigen Tagen sein enger Freund Michael Morgner
auf mdr figaro. Daraus seien schließlich die "ganzen guten
Sachen von mir" entstanden, so der Chemnitzer im Rückblick
auf die Jahre, die für Morgner wohl die schönsten waren,
wie er ungeschminkt zurückdenkt.
Warum Klaus
Werner so werden konnte? Vielleicht läge es auch an der "rauen Chemnitzer
Luft", die immer wieder solche Leute hervorbrachte, anders als im
"königstreuen Dresden oder im etwas glatten Leipzig", Köpfe wie
einst auch Mitglieder der Brücke oder Buchheim oder Heym.
Der Antrieb von innen sei für die Qualität der Kunst eben besser
als der durch Geld, meint Morgner.
Klaus Werner,
der die jüngsten Jahre zurückgezogen in Leipzig lebte und am 8.
Januar 2010 nach schwerer, unerbittlicher Krankheit verstarb, wurde
auf dem Leipziger Südfriedhof mit der Urnenbeisetzung geehrt.
Die Worte gelten weiter: Was aber bleibt, sind Bilder und Geschichten.
Uwe Kreißig
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