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Reconnaissance
Interview Mag
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Die
Dinge des Lebens |
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Der Atlas
von Gerhard Richter in Dresden
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Man merkt erst
spät im Leben, was einen alles geprägt hat, sagte Gerhard Richter
schon rückblickend. Gerade dem Deutungsspiel von Ausstellungsmachern,
Kunstwissenschaftlern und Journalisten hat er sich verwehrt, aber
an sich ist es leicht, den Hintergrund seines Werks zu verstehen.
Im Atlas, gegenwärtig in der Kunsthalle im Lipsius-Bau Dresden zu
sehen, findet sich Richters Leben in Kompression.
Während des
offiziellen Teils der Pressekonferenz sieht Gerhard Richter immer
wieder nach oben zur schönen Deckenverglasung und dem Gewölbe und
manchmal auch seitwärts. Er ist erkennbar gelangweilt, die gewölbten
Erklärungen, tiefsinnigen wie flachen Erläuterungen und Elogen der
Experten und Sponsoren sind nicht sein Ding, die gedrechselten wie
banalen Fragen der Journalisten ebensowenig. Er weiß selbst, was
er geleistet hat, der Multimillionär, dessen Künstlerkarriere finanziell
nahezu ärmlich begann und für den die Geldmillionen bedeutungslos
geworden sind.
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Gerhard
Richter, Dresden, Februar 2012. Fotos (3): Kreißig |
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Gerhard Richter
ist gealtert, er ist ein anderer als noch vor anderthalb Jahren
zur Vernissage der Kabinettausstellung im Rietschel-Haus in Pulsnitz,
wo er vital und attraktiv wirkte, dass man erstarrte. Es geht den
Stars wie den Leuten. Sein Werk ist dagegen keinen Tag gealtert,
es ist wohl moderner denn je, auch wenn Öl-Richters zu den Statussymbolen
der Reichen zählen. Es gibt ein Lied der englischen Popgruppe Pet
Shop Boys, indem sie eine Reihung von teuren Prestigeprodukten aufführen,
die Multimillionäre heute "besitzen müssen": darunter den Gulfstream-Ultralangstreckenjet
und the Gerhard Richter hanging on your wall. Doch am Ende zähle
nur die Liebe, die nichts kostet, das singt Neil Tennant. Wir fragen
Gerhard Richter, ob er den Pet Shop Boys zustimmen könne: "Liebe
ist wichtiger. Und das gilt für alle Menschen", so der Meister.
Bei Richter
ist vieles normal und parallel eine Nummer größer. Nun, den Titel
Atlas habe sich einst sein Galerist Heiner Friedrich einfallen lassen,
"Atlas, ein ziemlich schlagkräftiger Titel". Hinten nickt sein Verleger
Kaspar König aus Köln, der Grande unter den Kunstbuchverlegern mit
angeschlossenen Museumsbuchhandlungen der Sonderklasse. Die fortlaufenden
wie unterbrochenen Fotoserien machen die Ereignisse und Vergangenheiten
sichtbar. Gerhard Richter: "Ein Buch muss man lesen. Ein Foto sieht
man eine Sekunde an und es kann die gleiche Geschichte sein wie
in einem Buch."
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Wir
waren uns damals schnell darüber einig, dass das alles Quatsch war
um uns herum. Wir wussten, dass das so nicht geht, sagte der junge
Künstler Gerhard Richter, als er den Kapitalistischen Realismus mitbegründet
hatte. Die Fotografie zeigt ihn im Jahr 1966. Foto: © Gerhard
Richter, Köln 2012 |
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Richters Arbeitsethos
ist bekannt. Sein Werk ist umfangreich, über Kompanien von Angestellten
und "Assistenten", die sich Glamourkollegen wie Damien Hirst, Anselm
Reyle oder Olafur Eliasson leisten, um auf Masse produzieren zu
können, ist bei ihm nichts bekannt. Die Qualität seiner Bilder liegt
Welten über jenen seiner deutschen Starkollegen Georg Baselitz,
A. R. Penck und Neo Rauch, von einem Markus Lüpertz ganz zu schweigen.
Die eigene Richter-Produktion bleibt der Wert. So sind Bildwerke
entstanden, die in ihrer Gänze nicht ohne weiteres verständlich
sind und manchmal für Irritationen sorgen. So kommt es dann auch,
dass ein Kölner Kardinal Meisner die neuen Glasfenster in seiner
Bischofskirche, die Richter entworfen hat, als "für eine Moschee
geeignet" einstuft.
Die Situation
für ihn ist komfortabel und unbefriedigend zugleich. "Die ganzen
Artikel, die ich so in der Presse sehe, die Auktionskataloge, die
ich bekomme, das ist ja größtenteils Müll. Für junge Künstler gibt
es keinen Anreiz, sich dieser Spektakelkultur zu entziehen", sagte
er einmal in dem Wissen, wie es um seine Branche steht. Und Kunst
stelle die höchste Form der Hoffnung dar, meinte er einmal lapidar.
Und im Gegensatz zu den üblichen Statussymbolen der Reichmenschen
im Westen mit hochmotorisierten Autos, wandgroßen Flachbildfernsehern,
Einbauküchen "mit Block", Fünf-Sterne-Ressort-Urlaubsreisen und
als Krönung den privaten Pool funktioniert sie als veritabler Hoffnungsspender.
Das schönste Haus oder die perfekte Eigentumswohnung wirken ohne
Kunst oder mit schlechter Kunst wie leere Hüllen, eine Atmosphäre
entsteht darin nie, und das spüren die Bewohner durchaus, auch wenn
sie es nicht wahrhaben wollen.
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Walther
König, Buchhändler und Verleger von Gerhard Richter, kam mit nach
Dresden zur Ausstellungseröffnung seines Künstlerfreundes. |
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So stark und
oft auch schön Richters Bilder im Renaissancesinn sind, so wenig
lassen sie sich in ihren privaten oder gesellschaftlichen Dimensionen
erschließen. Liebe, Tod, Sehnsucht und Landschaften, das seien wohl
immer seine wesentlichen Themen gewesen, fragen wir ihn später.
"Ja, das könnte man sagen", so Richter. Für seine Kunst hat er den
Blickwinkel des Beobachters als Reaktion gewählt: "Man kann gar
nicht milde auf diese Welt blicken. So grauenhaft ist sie."
Man merkt erst
spät im Leben, was einen alles geprägt hat. "Es war vieles in den
60ern angelegt", erinnert sich Richter. Der Atlas offenbart ein
ganzes Leben, das Leben des Gerhard Richter. Aus diesen Fotografien
sind seine Bilder entstanden. Da sind seine Frau, auch im Akt, als
Schwangere und beim Stillen, sein Sohn als Baby, die Frau am Meer,
sein Haus in Köln, die Berge, das Meer, Eisberge vor Grönland, Manhattan,
das Venedig der Venetianer, Züge, Wolken, Blumen, Studien mit geometrischen
Farbfeldern und Expressiva, die Elbe, die Ostsee. Das ist ein Leben.
Gerhard Richter hat es gemalt. Die Dinge des Lebens.
Die ambivalente
Dresdner Kunstszene hat den Superstar ins Herz geschlossen, dem
Dresden von heute mit dem wundersamen Baugeschehen in der Altstadt,
steht er dennoch kritisch gegenüber: "Und wenn ich dort bin, bin
ich auch skeptisch. Ich sehe dann auch das Disneylandhafte der Stadt,
wie sie es wiederaufgebaut haben, alles so putzig und nett", so
Richter vor ein paar Jahren über seine Heimatstadt. Und wenn man
heute eine Runde im Radius von 500 Meter um den Kulturpalast dreht,
dann hat er Recht behalten. Es ist Disney in Reinkultur geworden.
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Schriftstellerin
Julia Franck (Die Mittagsfrau) las zur Eröffnung der Richter-Exposition
in Dresden. |
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Dass seine Originalwerke
längst nur noch für Superreiche und Museen als Besitz geeignet sind,
ist nicht seine Schuld. Er ist freundlich, routiniert, bescheiden,
ein normaler Mensch, der die besten Bilder der zurückliegenden 30
Jahre gemalt hat. Warum? "Es ist Arbeit." Und die großen Ausstellungen,
mit denen man Richter die zurückliegenden zwei Jahrzehnte weltweit
zeigte? "Sie sind vielleicht die Bestätigung, auf die wir alle aus
sind." Seine Ehrlichkeit ist verblüffend. Dann eine Journalistenfrage
aus der Gruselkategorie: "Wie sieht der rote Faden aus, der sich
durch diese Bilder zieht?" - "Rot." Man möchte ihn küssen.
Richter bleibt
karg, die nicht wenigen dümmlichen Fragen auf der Pressekonferenz
sind ein Spiegel der Branche, in der man sich gern auf "Gossip"
oder "Nutzwert" verlegt, wenn man vor einer echten Themenbetrachtung
argumentative Angst hat. Eine Journalistin fragt gegen Ende der
Pressekonferenz allen Ernstes, wie er seinen 80. Geburtstag verbringe…
Man ist sprachlos.
Dann wirft ihnen
Gerhard Richter noch ein paar Brocken hin: "Mit der Berühmtheit?
Ich komm' damit klar. Bin ich ein berühmter Mensch? Das weiß ich
nicht. Es sieht so aus. Heute ja. - Hoffentlich geht es noch ein
bisschen weiter. Das wäre schön." Ende der Veranstaltung.
Uwe Kreißig
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Gerhard
Richter
Atlas4. Februar - 22. April 2012
Kunsthalle im Lipsius-Bau, Pulsnitz
Weitere Informationen: www.skd.museum |
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