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Reconnaissance
Interview Mag
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Der
Chronist aus der Versuchsstation für den Weltuntergang |
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Vor drei
Jahrzehnten erschien die deutsche Ausgabe von Less than Zero
von Bret Easton Ellis als Unter Null
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Zunächst schien
er nur ein weiterer Autor aus der Creative-Writing-Welle zu sein,
die der New Yorker Jay McInerney mit seinem Überraschungsbestseller
Bright Lights, Big City 1984 ausgelöst hatte. Im Jahr darauf
erschien in den USA der kurze Roman Less Than Zero, 1987
die deutsche Erstausgabe als Unter Null aus der Hand von
Bret Easton Ellis, im Rowohlt Verlag, deren Lektoren damals ein
Gespür für Autorentalente hatten.
Der Plot von
Unter Null erscheint weniger spektakulär, als es sich im
Buch schließlich darstellt: Clay und seine reichen, jungen, schönen
wie falschen Freunde vertreiben sich im Los Angeles der 80er Jahre
die Zeit mit Drogen, Alkohol und Partys, wobei letztere immer mehr
in Irrsinn und Gewalt abgleiten. Der Sinnlosigkeit ihres Daseins
ahnend, findet dennoch keiner den Ausstieg aus der Spirale, die
sich unaufhaltsam nach unten dreht. Schon im Debüt fand sich Ellis
seine Themen, mit deren Literalisierung er in kurzer Zeit selbst
eine Celebrity unter den Schriftstellern werden sollte.
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Bret
Easton Ellis, 2006. Fotos (2): Kreißig |
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Bei den Studenten
in den amerikanischen Universitäten und Colleges gilt Unter Null
bis heute als Kultbuch, obwohl Ellis in der Stilistik noch nicht
die Qualität erreichte, mit der er in den Folgewerken Maßstäbe setzte:
Vielleicht ist die freie, unverstellte Sprache der Grund dafür.
Mit dem Welterfolg American Psycho erlebte Ellis 1991 den Durchbruch
zu einem der einflussreichsten Schriftsteller der Gegenwart, wobei
er schwerste Angriffe aus Politik, Feuilleton und der Gedankenkontrolle
erdulden musste. American Psycho, längst in Hollywood wie
andere Bücher von Ellis verfilmt, stand in Deutschland gar eine
Zeitlang auf dem Index - ironischerweise eine Erfindung der Päpste.
Der Roman war freilich eine hochintelligente Replik auf Amerikas
allgegenwärtige Gewaltverherrlichung, an deren medialer Verbreitung
Hollywood und die amerikanische Fernsehserienindustrie aus kommerziellen
Motiven ihren Anteil haben. Die verheerende Formel, mit Gewalt (und
damit in der Konsequenz auch Krieg) pauperistische, religiöse oder
politische Differenzen zu lösen, hat wieder eine Hochkonjunktur
auf allen Kontinenten. Lediglich der Franzose Michel Houellebecq
schreibt so souverän über den Niedergang des über Jahrzehnte idealisierten
"Westens", dem einst Milliarden Menschen nachträumten, der aber
fremden kulturellen, theologischen und kriminellen Einflüssen nicht
mehr gewachsen zu sein scheint.
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Malersuperstar
Gottfried Helnwein (r., hier 2015 mit Regisseur Johann Kresnik in
der Kantine der Volksbühne Berlin): "Los Angeles ist die Versuchsstation
für den Weltuntergang. Wenn man in L. A. in Amerika lebt, dem äußersten
Vorposten unserer Zivilisation, bekommt man direkt mit, wie dieses
westliche Imperium zusammenbricht. Das ist der zweite Fall Roms. Es
ist doch unglaublich, wie die Gewalt in Amerika verherrlicht wird.
Es wird ständig gekillt. In den Kriegen, die Amerika seit dem Zweiten
Weltkrieg geführt hat, sind 25 bis 30 Millionen getötet worden. Amerika
ist seit 60 Jahren in einem permanenten Kriegszustand." |
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Der Umzug von
Ellis aus New York nach Los Angeles mutet daher folgerichtig an.
Die einstige Stadt der Engel sei längst "die Versuchsstation für
den Weltuntergang" geworden, wie der österreichische Malersuperstar
Gottfried Helnwein bilanziert, was ihn wie viele Weltkünstler nicht
abhält, dort zeitweise zu leben und zu arbeiten. Der Rechenschaftsbericht
von Ellis lautet in etwas so: Die Herrschaft der "New Economy" (in
der eine Gaga-Firma wie Snapchat 20 Milliarden Dollar wert sein
soll) und einer totalisierten "Starwelt", die sich jeden Tag hunderttausendfach
in den "Sozialen Medien" selbstproduziert, verbunden mit einer Politaristokratie,
deren Vertreter möglichst über Jahrzehnte in Ämtern und Mandaten
verbleiben wollen, erschaffe mit jeder scheinbaren Neuerung nur
noch neue Probleme. Und so lesen sich auch die Romane und Kurzgeschichten
von Ellis. "Aber die Gesellschaft ist verlogen, ist verrottet, ist
verloren - am Ende hält man sich an die Regeln und geht doch leer
aus", ist seine Bilanz.
Ellis gleitet
in seinen Büchern über die endlosen Oberflächen unseres Lebens,
beschreibt aber im Gegensatz zum Kitschautor, welche Abgründe unter
diesem spiegelnden Überzug sieden. Lange wurde Ellis im deutschen
Feuilleton kritisiert, dass seine Plots zu unwahrscheinlich seien,
mithin also unrealistisch. Doch er war, wie es sich für einen sehr
guten Autor gehört, nur der Realität voraus. So sagte er im Roman
Glamourama, der vor zwei Jahrzehnten erschien, apodiktisch die heutige
Selbstdarsteller-Show von "Berühmtheiten" voraus. Die wahre Geschichte
vom Teufelsgeiger David Garrett, der sich als Schönling und Multimillionär
nach getaner Tournee in New York langweilt, eine heimliche Affäre
mit einer Porno-Darstellerin beginnt und bald von ihr "wegen seelischer
Grausamkeit" auf Millionen von Dollar verklagt wird, könnte direkt
aus einem Roman von Bret Easton Ellis stammen.
Die Leere, die
Angst und die Gier, das waren schon vor drei Jahrzehnten die Themen
aus Unter Null: Sie sind die Wahrheit dieser Gesellschaft
geblieben.
Uwe Kreißig
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