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Reconnaissance
Interview Mag
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"Das
Allerprivateste ist etwas, dass alle Leute kennen" |
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Schriftsteller
Axel Hacke ist der Star des SZ Magazins und der Lesebühne
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Es läuft
so: Diesen Satz spricht George Clooney als Anwalt leger wie
überzeugt zu einem verunsicherten Mandanten in seinem besten Film
Michael Clayton, und so ähnlich geht dann auch die Eröffnung
der Lesung durch Axel Hacke im Februar in Freiberg vonstatten. "Es
läuft so: Ich erzähle Ihnen heute Abend echte und überzogene Versatzstücke
aus meinem Leben, die ich in Geschichten gepackt habe, die Sie alle
selbst erlebt haben, und Sie lachen dann genau an jenen Stellen,
die ich dafür festgelegt habe." Und so läuft es dann auch.
Das Publikum
in der nicht kleinen und dennoch ausverkauften Alten Mensa,
von der örtlichen Buchhändlerin Heike Wenige gechartert, setzt sich
- wie bei Lesungen genreüblich - aus sachkundigen Fans mit deutlichem
Frauenüberschuss zusammen. Hacke ist Vater von vier Kindern und
prominent - ein Posterentwurf für eine bestimmte Klientel von Frauen,
deren Altersspektrum beträchtlich ist. Vorher empfängt er uns in
der Künstlergarderobe, in der Alten Mensa ist das an diesem
Abend der Waschraum der Bühnentoiletten. Die klarweiße, sachliche
Sanitäratmosphäre wirkt auf den ersten Blick leicht skurril, aber
einen Profi wie ihn stört das nicht.
Hacke ist außergewöhnlich
höflich, das irritiert schon fast wieder. Wir
sehen ihn genauer an: Sein Outfit ist perfekt abgestimmt,
ohne übertrieben zu wirken: weißes Oberhemd (oberster Knopf geöffnet,
keine Krawatte), darüber ein dunkelblauer Marine-Pullover bester
Qualität, die Jeans in einem perfekten Blauton passend zum Pullover,
mit leichten Auswaschungen an den richtigen Stellen, schwarze, gediegene
Halbschuhe mit mittelgroben Sohlenprofil und schrägem Zulauf zur
Spitze. Das Haar liegt weich in einem konservativen Scheitel. Hacke
(Jahrgang 1956) wirkt ungefähr zehn Jahre jünger - das ist die Wahrheit.
Der Vergleich mit Clooney ist nur partiell abwegig, sieht doch der
Schriftsteller auch noch gut aus. "Ich werde immer darauf angesprochen,
aber mich beschäftigt das nicht", Hacke lacht vor sich hin. Natürlich
weiß er es. Und Groupies, so etwas muss es doch wenigstens noch
in der Literaturszene geben? "Ich bin nicht groß unterwegs nach
den Lesungen. Das Ganze ist eine relativ langweilige Angelegenheit.
Ich bin eine Stunde vorher da, bereite mich vor, telefoniere ein
bisschen oder gebe Interviews, dann mach' ich meine Lesung und wenn
die Lesung zu Ende ist, gehe ich in mein Hotel und lege mich schlafen,
weil ich am nächsten Morgen ziemlich früh aufstehe, um im Hotel
noch zu arbeiten", so Hacke zu einem typischen Arbeitsausflug. Ein
nahezu protestantisches Arbeitsethos, geben wir zu bedenken. "Nun,
was soll man machen? Ich kann nicht nach jeder Lesung irgendwo feiern…"
Hacke ist eben
kein Rock'n'Roller und auch kein barocker Typ wie Hellmuth Karasek,
der einst nach einer Lesung im sächsischen Stollberg von der einladenden
Buchhändlerin eine gute Flasche Rotwein geschenkt bekam und schließlich
im Hotelzimmer nicht mehr widerstehen konnte. Dort friemelte er
mit einem Schweizer Damentaschenmesser (ohne Zieher) eine halbe
Stunde am Korken herum, bis er ihn zerbröselt hatte, am Ende trank
er noch ein halbes Glas mit schwimmenden Kork. Den nächsten Tag
erzählte er diese Geschichte beim Mittagessen mit der gebotenen
Selbstironie und mit dem Herrensinn, genau richtig gehandelt zu
haben. Nach der Vorlage dieser Karasek-Replik gibt Hacke schließlich
doch zu, dass er sich ab und an schon mal ein Glas Wein im Anschluss
genehmige: "Ich habe schon einige Lesungen zusammen mit meinem Freund
Giovanni di Lorenzo gemacht, mit dem ich auch ein Buch geschrieben
habe. Für den sind Lesungen noch was besonderes, denn der macht
nicht so viele. Der geht hinterher gern noch essen und sitzt mit
ein paar Leuten zusammen - da mache ich natürlich mit, weil ich
mich freue, wenn wir uns sehen, aber wenn ich allein bin, ist für
mich nach der Lesung Schluss."
Eine Berühmtheit
wurde Hacke mit seiner Kolumne im Magazin der Süddeutschen Zeitung.
Seit 1990 bildet er dort die textliche Konstante, immer auf der
letzten Seite vor dem Umschlag. Er hat die Umbrüche dieser freitäglichen
Beilage, die inzwischen einen gewissen Kultcharakter ausstrahlt,
glänzend überlebt - er scheint geradezu unverzichtbar. Das ist ja
das allgemeingültige Medienprinzip, das selbst Chefredakteure gelegentlich
nicht akzeptieren wollen, vor allem dann, wenn sie für textlich
zusammengeschluderte Medien verantwortlich zeichnen: Leser kommen
und sie gehen auch, wenn sie sich bei den Inhalten unwohl fühlen
oder ihre Lieblingsrubriken nicht mehr wiederfinden, weil man ihre
Zeitung "aufgeräumter, moderner oder einladender" gemacht habe,
indem man auch die besten Bestandteile entfernt, Texte verkürzt
und diese gegen "Nutzwert" und Gossip austauscht. Wenn es
schiefgeht und die Auflage weiter sinkt, sind immer Sonderfaktoren
die Ursache oder ausgerechnet jene Abteilungen, in denen am meisten
gearbeitet wird. Auf Axel Hacke im SZ Magazin zu verzichten,
hieße gleichwohl, diesem das Rückgrat zu brechen.
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Axel
Hacke in der etwas unkonventionellen Künstlergarderobe in der Alten
Mensa, dem Waschraum der Bühnentoiletten. Einem Profi macht das nichts
aus. Warum auch? Fotos (2): Kreißig |
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"Ich habe keine
Bücher geschrieben, die im Literarischen Quartett eine große
Rolle hätten spielen können, in Elke Heidenreichs Buchsendung aber
schon oder bei Harald Schmidt", so bemisst er sein Level. Das Literatursystem
der Gegenwart spricht für ihn, Weltautoren wie ein Lobo Antunes
oder ein DeLillo als Stilisten, die große Themen in lesbarer Hochsprache
reflektieren können, rücken darin immer mehr an den Rand, weil die
Zahl der Leser mit dem erforderlichen Hintergrundverständnis unaufhaltsam
sinkt. "Bei mir ist es ja so, dass sehr viele Leute nach dem Lesen
meiner Geschichten meinen, das wäre ja so wie bei ihnen. Neulich
sagte wieder einer, dass es ja fast so sei, als ob ich bei ihnen
unter dem Tisch sitze. Es ist einfach so, dass ich Geschichten verfasse,
in denen sich viele wiedererkennen. Man denkt eigentlich, dass man
sehr private, persönliche Geschichten schreibt, und stellt dann
fest, dass das vermeintlich Private von sehr vielen Menschen geteilt
wird. Das Allerprivateste ist etwas allgemeines, dass alle Leute
kennen."
Das sitzt. Der
Alltagsphilosoph sagt Dinge, die man niemals widerlegen kann. Und
es wird noch besser: "Jeder kennt das Gefühl, bei der Erziehung
seiner Kinder zu versagen. Jeder kennt die Auseinandersetzungen
und die Gespräche, die man in einer Beziehung führt, nur bei mir
kommt das auf eine leichtere Ebene - das muss nicht mal brüllend
lustig sein… Ich will nicht, dass die Leute Tränen lachen über meine
Geschichten, aber wenn sie es machen, ist es auch okay."
Schludern würde
Hacke nie, er ist ein pflichtbewusster Textarbeiter, dem genau klar
ist, was er anbieten muss und anbieten kann. Aus einer gewissen
Perspektive darf man das auch als kommerziell beschreiben, manchmal
auch als flach, wenn es sich um die nicht aufgestellte Zahnpastatube
dreht, oder um die Bestsellerliste, auf der 50 % Kochbücher seien
und die andere Hälfte Diätratgeber, aber das Publikum johlt eben
auf.
Seine Texte
sind die klassischen Schnurren, wie sie überall kursieren, Hackes
Schnurren sind die chromblitzenden Edelteile aus dem Sumpf der pseudoironischen
Lebensratgeber, mit denen hierzulande auch der Schlammtümpel der
"Comedy" mit zweifelhaften Stoffen beliefert wird. Und Schnurren
weisen die Eigenschaft auf, faktisch unbegrenzt nach oben oder nach
unten erweiterbar zu sein. Hacke liest in Freiberg dann auch aus
dem "Unterbuch", in dem "ein Thema aus dem Oberbuch genauer betrachtet"
wird. Da unterscheidet er sich im Grunde nicht von den Kollegen
der ernsten Schreibsektion, auf diesem simplen Prinzip gründen ganze
Schriftstellerleben.
Bösartigkeit
oder Zynismus wird man bei Hacke nie finden, dies würde gegen seinen
Kodex wie gegen seine allgemeinen Geschäftsbedingungen verstoßen.
So profitierte das Klinikum Chemnitz einmal von seiner Nachsicht,
als ein simpler Schreibfehler bei der Korrektur der Firmenzeitschrift
Klinoskop übersehen, die Ausgabe schließlich so in Druck
ging und man sich im Heft 2/2009 des SZ Magazins in seiner
Rubrik "Das Beste aus aller Welt" wiederfand: "Drittens: das Schlafanfallbüro.
Ein solcher Ort befindet sich in Chemnitz, wie ich dem Klinoskop
entnehme, der Zeitschrift des dortigen Klinikums, die mir Frau Z.
aus Leipzig zuschickte. Darin befindet sich ein Artikel über die
Behandlung von Schlaganfällen, unter dem aber die Telefonnummer
der Leiterin des Schlafanfallbüros verzeichnet ist. Wobei es sich
um einen Druckfehler, aber auch um eine Wortschöpfung handelt, die
wir dringend benötigten, denn es gibt viele Büros im Land, besetzt
von Schlafanfälligen. Nur hatten wir bisher kein Wort dafür." Das
ist eben Hacke.
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Axel
Hacke liest. Die Fans sind begeistert. |
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